S ich schlapp fühlen, müde und ener- gielos sein – das kennen wir alle von Zeit zu Zeit. Mal haben wir einfach nur schlecht geschlafen, zu viel ge arbeitet oder uns eine Erkältung ein- gefangen. Ein bisschen Ruhe – und die Mattigkeit vergeht, der Infekt kuriert aus. Was aber, wenn die Symptome bleiben? Wenn weder Schlaf noch Ent- spannung oder gar Medikamente helfen? Genau so ergeht es Menschen, die unter dem Chronischen Fatigue-Syndrom, auch Myalgische Enzephalomyelitis genannt, leiden. Hals-, Kopf- und Gliederschmer- zen sind bei vielen Dauerzustand. Und ihre Müdigkeit ist nicht einfach nur Mü- digkeit. Einigen Betroffenen fehlt sogar die Kraft, ihre Kaffeetasse hochzuheben. Von 100 auf 20 – so beschreibt Sabine K. ihr Leben, seitdem sie vor sechs Jahren nach einer Lungen entzündung am Chro- nischen Fatigue-Syndrom erkrankte. Sie, die einst nichts aus der Bahn werfen konn- te, die beim Hamburger Radrennen ganz vorn mitfuhr, die sich als Anwältin für ihre Mandanten eingesetzt hatte, ist heute viel zu schwach zum Kämpfen. „Ich fühle mich, als hätte ich eine nie enden wollende Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen Die Fachärztin für Hämatologie, Onkologie und Fachimmunologie leitet die Immun- defekt-Ambulanz und das Fatigue- Centrum an der Charité-Universitäts- medizin Berlin G E S U N D W E R D E N Über 60 Prozent der Betroffenen sind arbeitsunfähig Grippe“, sagt die 34-Jährige. An manchen Tagen sind schon die banalsten Dinge des Alltags für sie ein unvorstellbarer Kraft- akt. „Aufstehen, Duschen, Zähneputzen – danach sind meine Energieressourcen meist schon verbraucht“, sagt sie. Von jetzt auf gleich sackt ihr Körper in sich zusammen und quittiert seinen Dienst. „Meine Beine fühlen sich dann an, als wür- den schwere Betonklötze daran hängen.“ Meist schleppt sich die Juristin zurück ins Bett und bleibt dort liegen – abgeschirmt vom Leben. KRANKHEIT MIT GUTER TARNUNG Für Carmen Scheibenbogen ist die junge Frau kein Einzelfall. Die Professorin leitet das Charité-Fatigue-Centrum in Berlin. Sie schätzt, dass etwa 300.000 Menschen in Deutschland an CFS erkrankt sind. Laut einer Studie der Universität Aalborg in Dänemark kann ein Viertel aller Betrof- fenen das Haus nicht mehr verlassen, viele sind bettlägerig und auf Pflege ange- wiesen. Schätzungsweise über 60 Prozent sind arbeitsunfähig. Die Liste der Be- schwerden, die CFS begleiten können, ist lang: „Betroffene leiden unter unter- schiedlich ausgeprägten körperlichen und neurokognitiven Symptomen“, weiß Carmen Scheibenbogen. Charakteris- tisch sei der meist akute Beginn mit einem Infekt. Es folgen eine schwere Erschöp- fung, oft begleitet von Halsschmerzen, Kopfschmerzen, grippeähnlichen Symp- tomen, Muskel- und Gelenkschmerzen, Konzentrations-, Gedächtnis- und Schlaf- störungen. Auch Kreislaufstörungen, Reizdarm und Atembeschwerden werden bei dem Erschöpfungssyndrom häufig beobachtet. SELBST ÄRZTE SIND OFT RATOS CFS ist eine rätselhafte Krankheit und kann jeden treffen: „Der typische Patient ist etwa zwischen dem 16. und 40. Lebens- jahr, war vorher fit und erkrankte aus vol- ler Gesundheit heraus“, beschreibt Prof. Scheibenbogen. Dabei liegt die Ursache der Krankheit, die so viele Menschen zu Pflegefällen macht, noch weitestgehend im Dunkeln. Das gilt auch für CFS als Spätfolge einer Post-Covid-Erkrankung, unter der immer mehr Corona-Genesene leiden. Eine Schlüsselrolle könnte das körpereigene Abwehrsystem spielen. „Es gibt eine Reihe von Evidenzen, die dafür sprechen, dass CFS zumindest bei einem Teil der Patienten eine Autoimmun- erkrankung darstellt“, erklärt die Hämato- Onkologin. Neue Untersuchungen weisen auch auf schwere Störungen im Energie- stoffwechsel und auf einen Mangel an Antikörpern (Immunglobulinen) hin. Bei- des könnte zu einer Anfälligkeit für Infek- tionen führen. Zu den bekanntesten GRÖNEMEYER 71